Plädoyer für (mehr) Print im Marketing: Wertschöpfung durch Wertschätzung
Menschen statt Märkte: Marketing kann nur erfolgreich sein, wenn es den Einzelnen mit wirklich relevanten Inhalten ins Visier nimmt. Wenn Dialoge nicht nur online, sondern auch via Print inszeniert werden. Und wenn Menschen teilhaben an authentischen
Leistungen, Gefühlen und Erlebnissen.
// Kein
Mensch bestreitet, dass sich unser Leben in die digitale Welt verlagert. Denn Megatrends sind wie Lawinen in Zeitlupe.
Sie reissen alles mit und ihre Konsistenz weist eine Haltbarkeit von 30 bis 50
Jahren auf. In Deutschland und der Schweiz sind 90% der Bevölkerung online. Die Hälfte davon shoppt im Netz.
Die meisten starten über Google ins Web. Und die Unternehmen stecken in immer
mehr in Online-Werbung.
// Also alles
Online? Der Enthusiasmus für das Neue ist verständlich. Aber die Sichtweise
einseitig, weil es sich um ein quantenoptisches Phänomen handelt: den
Tunnelblick. Dieses Wahrnehmungs-Defizit registriert man heute nicht nur bei
Markenartiklern. Das digitale Virus hat auch gestandene Direktwerber
befallen, die traditionell auf Katalog
und Mailing fixiert waren. Aber selbst diese Dinos sind heute so in die virale
Welt eingetaucht, dass viele von ihnen Phantomschmerzen empfinden, wenn sie einmal
offline sind. Das ist fatal. Denn auch die neue Welt hat sowohl eine Online-
als auch eine Offline-Hemisphäre.
// Natürlich
muss die Wirtschaft auf das veränderte Einkaufsverhalten reagieren. Aber ist
die Richtung, in die jetzt alle laufen, wirklich die richtige? Ist es nicht
eine Banalisierung der Werbewirkung, wenn Controller nur die Werbekontakte
zählen, die im Internet so viel günstiger sind, als in den traditionellen
Medien? Ist es nicht eine Milchmädchenrechnung, wenn die Digitalvermarkter mit
immer höheren Rabatten locken, während an der Preisschraube für Mailings kaum
mehr zu drehen ist?
DER KLEBSTOFF ZUM KUNDEN MUSS BREITER AUFGETRAGEN WERDEN. DAS INTERNET REICHT NICHT, UM IHM AUF DEN FERSEN ZU BLEIBEN
// Ich habe das Gefühl: Es ist fünf vor zwölf für die
Einsicht, dass wir nicht nur den virtuellen Optionen nachjagen, sondern auch
die klassischen Dialogtools wieder nutzen sollten. Denn der Klebstoff zum
Kunden muss breiter aufgetragen werden. Das Internet reicht nicht, um ihm auf
den Fersen zu bleiben. Nicht nur, weil es kein Emotionalisierungsmedium ist, sondern
auch, weil vier Punkte absehbar sind. Erstens: Dass wir es erst mit 30 Prozent
digitalen Souveränen zu tun haben, 60 Prozent sind immer noch
Gelegenheitsnutzer. Zweitens, dass die Disziplinierungs-Ideologie der Politik auch
die Wachstumsdynamik der Online-Medien jederzeit per Gesetz abbremsen kann. Drittens,
dass die traditionellen Tools automatisch attraktiver werden, sobald
Online-Werbung teurer wird. Und viertens, dass die Resultate keineswegs nur
für Online sprechen. Denn minimale Kontaktkosten sind nicht alles.
// Das ist
kein Plädoyer zu Gunsten digitaler Ausseinseiter und notorischer
Kulturpessimisten. Mir geht es nur um Argumente, warum intelligente Multi-Channel-Kommunikation
E-Mail, Telefon, Social-Media und Print parallel nutzt und sich der jeweiligen
Stärken bedient. Denn im Marketing können wir uns keine Glaubenskriege mehr leisten.
Und das bedeutet: Die Bereitstellung verschiedener Kommunikations- und
Vertriebswege mit entsprechenden Touchpoints ist der einzig plausible Ansatz,
um Menschen zu erreichen. Und dazu brauchen wir sämtliche Werbekanäle mit
Zugang zum Kunden. Also auch Print. Und mit Print meine ich alle dialogfähigen
Medien und Werbemittel. Von Couponanzeige und Beilage über Streuprospekte bis
zu Postkarten, Mailings und Katalogen.
36 PROZENT WERBUNGTREIBENDE SIND ÜBERZEUGT, DASS DIE BEDEUTUNG DES
WERBEBRIEFS WIEDER ZUNIMMT
// In
einer in Deutschland durchgeführten Umfrage von TNS Emnid war zu lesen, dass 36
Prozent Werbungtreibende überzeugt sind, dass die Bedeutung des Werbebriefs
wieder zunimmt. Angesichts der Internet-Euphorie erstaunt dieses Bekenntnis.
Andererseits ist vorstellbar, dass sich das Mailing tatsächlich als Alternative
zur Öffentlichkeit der Netzwerke positioniert. Als Unterschied zwischen standardisiertem
Kundenkontakt und spürbarer Wertschätzung. Denn es scheint, als steuerten wir
auf ein System der geteilten Aufmerksamkeit zu. Hier der Konsumtypus, der sich mit
Info-Snacks begnügt, die auf ein T-Shirt passen. Auf der anderen Seite Verbraucher,
die Zeit aufwenden, bewusst aufnehmen und selbst für Werbung längere
Intervalle zur Verfügung haben.
// Print
ist wertig und daher optimal geeignet, Bezugssysteme herzustellen, um ergänzend
zur Flüchtigkeit der Online-Medien langfristige Interessengemeinschaften
zwischen Anbieter und Kunde zu schaffen. Und selbst wenn es so sein sollte,
dass wir in Zukunft weniger physische
Post bekommen, weil immer mehr Regelkommunikation ins Internet abwandert, wird
das Brief und Mailing qualitativ nur noch mehr aufwerten. Vor allem bei
Hochpreisprodukten. Und im Bereich BtoB, wo es noch mehr auf hochwertige
Inhalte ankommt, als auf Funktionalitäten. Nicht schneller wissen, sondern intensiver
erleben. Über Haptik, Inspiration und die Emotion guter Geschichten. Denn
Kunden kaufen immer weniger „solutions to a problem“, aber immer mehr „good
feeling“. Und bezahlen für Emotionen mehr, als für Rabattangebote. Denn die
Generation Kuschel will sinnliche Momente erleben und die Erosion familiärer
und gesellschaftlicher Sicherheiten durch harmonische Bindungs-Biotope
kompensieren.
DAS MAILING ALS UNTERSCHIED ZWISCHEN STANDARDISIERTEM KUNDENNKONTAKT UND WERTSCHÄTZUNG
// Es ist
und bleibt ein qualitativer Unterschied,
ob ich eine Einladung zur Vernissage zwischen einem Viagra-Mail und dem
Newsletter eines Fitness-Studios erhalt oder per Post auf Büttenpapier. Es hat
eine andere emotionale Qualität, wenn mir das SOS-Kinderdorf den
handschriftlichen Brief meines Patenkindes aus Ruanda mit Fotos von ihrem ersten
Schultag weiterleitet, als wenn ich eine Mitteilung per Mail erhalte.
// Die Unternehmen müssen sich auch von dem Irrglauben
verabschieden, dass Mailings nur dazu da sind, Käufe zu generieren und Cross- und Up-Selling zu realisieren. Das
Mailing der Zukunft wird mehr sein als ein Response-Generator. Seine Kraft wird
im Sowohl-als-auch bestehen: Sowohl Verhalten auszulösen, als auch Image zu
bilden. Viele wissen, wie positiv Kunden reagieren, wenn man eine Danke-Aktion
per Postkarte oder Brief lanciert. Eine
Aktion, bei der man einmal nichts verkauft, sondern dem Kunden nur für seine
Treue dankt. Danke – es ist erstaunlich, wie gross die Wirkung dieses kleinen
Wortes sein kann.
// Wer
glaubt, das würde sowieso alles in den Papierkorb wandern, muss sich eines
Besseren belehren lassen: Ein Teil der adressierten Werbung – rund 17 % – wird
tatsächlich direkt entsorgt. 26 % wird grob überflogen, 30 % quergelesen und
immerhin 27 % vollständig gelesen. Das ist - im Vergleich zum Internet - sehr
viel. Denn eines sollte man bedenken: Die gesamte Wahrnehmung des Menschen wird
durch Sinnessysteme kanalisiert. Online-Medien können von fünf Sinnen nur zwei
bedienen. Das Mailing ist in der Lage, alle fünf Sinne zu bedienen. Sehen,
Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen: das sind Schüsse, die direkt ins Gehirn
gehen und dort auf einer Art Sinnesrecorder aufgenommen und abgespeichert
werden.
DIE LESER VON PRINT GEHEN MIT TEXTEN ANDERS UM, ALS DIE NUTZER DES INTERNETS, DIE TEXTE NUR SCANNEN
// Und
noch etwas ist wichtig: Die Leser von Print gehen mit Texten anders um, als die
Nutzer des Internets. Die Lesegeschwindigkeit von Papiertexten ist um 25-30
Prozent höher, als von Bildschirmtexten. Texte im Internet werden oft
überhaupt nicht gelesen, sondern lediglich gescannt. Und die Wahrnehmung
reduziert sich nur auf wenige Satzfragmente.
// Ich
will damit nicht den Eindruck erwecken, es ginge an der Verkaufsfront um Print oder Online. Es geht um Print plus Online und um hybride Werbeformen, die Prospekt, Mailing und Internet, die On-
und Offline verzahnen. Schnell beim Kunden sein. Im richtigen Moment hin und
zurück. Mit QR-Codes, die das lästige Abtippen ersparen. Mit Augmented
Reality, um gedruckte Inhalte in Bewegung zu setzen. Oder mit der Personal Url,
die der Kunde per Postkarte erhält und die ihn auf eine personalisierte
Homepage mit Rückmeldung an den Verkäufer führt.
// Und wenn man Print als
Verbindungsglied zur Onlinewelt einsetzt, hat selbst der tot geglaubte
Massenversand noch Zukunft. Vielleicht liegt hier sogar der Schlüssel zu einer
ökonomischen Maximierung der One-to-One-Formel. Denn Werbung wird besonders
effizient, wenn sie sich verselbstständigt und dem One-to-Some Prinzip der
Nachrichtenverbreitung folgt. Und die Inszenierung eines Schwarms zeigt erst,
welches Potenzial in den Menschen, derBranche, den Medien und dem Markt steckt.
Man braucht nur an Street Parades zu denken, an Fussballstadien und Fanzonen.
All das belegt, dass nicht nur Bienen und Zugvögel, sondern auch Menschen in
Schwärmen denken und sich Schwarmtrends anschliessen können. Und wenn man jetzt hunderttausend
Hundebesitzer nimmt, ist das zunächst lediglich eine statistische Grösse. Aber
hunderttausend Hundebesitzer per Mailing auf die Homepage des Futterherstellers
dirigiert, eingeloggt und mit dem Callcenter verknüpft - so könnten interaktive
Marktplätze in Zukunft funktionieren.
WER NACHHALTIGE WIRKUNG ERZEUGTEN WILL, BRAUCHT RELEVANTE INHALTE UND PERSONALISIERTE KOMMUNI-KATION
// Es muss auch
bei der Erstansprache nicht partout alles personalisiert sein. Ich sehe keinen
tieferen Sinn in der Personalisierung eines Gutscheins, den man mir auf dem
Flug nach London in die Hand drückt, damit ich am Heathrow Airport einen
SIXT-Mietwagen mit 10 Prozent anmieten kann.Und ich reagiere immer ausgesprochen
erleichtert auf die Feststellung, dass die Probepackung Hakle-Feuchttüchter,
die ab und zu in meinem Briefkasten
landet, nicht personalisiert wurde. Trotzdem müssen wir uns natürlich über das
Marketing-Credo der Zukunft im Klaren sein: Wer machhaltige Wirkung erzeugen
will, muss
personalisierte (Dialog-) Kommunikation einsetzen und Marken über
Primärerfahrungen erlebbar machen. Muss gute Gefühle vermitteln. Keinen
Geiz. Keinen Neid. Keine Trübsal. Werbung muss den Menschen Lust machen, wieder das Lachen zulassen und Leidenschaften
wecken. Vorzugsweise in ganzen Sätzen. Und nicht im Esperanto der virtuellen
Welt, wo viele sich so cool verständigen, als könnten sie zwischen den
Abkürzungen noch Eiswürfel spucken.
Der US Postal Service hat vom Center for Neural Decision Making der Temple University untersuchen lassen, wie Kunden auf physische bzw. digitale Werbemittel reagieren. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, um welches Marketingziel es geht.
Geht es um Aufmerksamkeit, liegen die digitalen Werbemittel vorne. Die Konsumenten verarbeiten diese schneller. Mit physischer Werbung beschäftigen sie sich allerdings länger. In Sachen Engagement liegen beide Kanäle laut Studie gleichauf. Emotionaler reagieren Kunden, wenn sie sich mit physischen Werbemitteln beschäftigen. Bei der Werbeerinnerung zeigt sich ein differenziertes Bild: Den Inhalt und den Absender vermitteln sowohl physische als auch digitale Werbeträger gleich gut, schneller geht es allerdings bei physischen Reizen. In Sachen Kaufbereitschaft zeigten beide Kanäle eine ähnliche Wirkung. Ein unterbewusstes Verlangen nach einem Produkt oder Service lösen vor allem physische Werbemittel aus; zudem vermitteln sie einen höheren Wert.